Mittwoch, 29. Februar 2012

Rede von Bundesministerin Ilse Aigner zu Transparenz und Beratungsqualität auf dem Kongress "Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2012" am 28. Februar 2012 in Berlin


Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

es könnte ein Grund zum Feiern sein: Denn sie wird 2012 zehn Jahre alt: die Riester-Rente.

 

10 Jahre Riester-Rente: Grund zum Jubel oder Ärgernis?


Sie steht im Blickpunkt – als tragende Säule der privaten Altersvorsorge. Rund 15 Millionen Deutsche vertrauen auf sie als Anlageform. Milliarden Euro sind investiert. So weit, so gut. Das klingt nach einer echten Erfolgsgeschichte.

Doch es mehren sich die kritischen Stimmen: Das Handelsblatt titelt vor wenigen Tagen: "Kritik an der Riesterrente reißt nicht ab" (Handelsblatt vom 14.02.2012). Die Süddeutsche geht noch weiter und konstatiert: "Riester-Rente gescheitert" (Süddeutsche Zeitung vom 10.12.2011). Und die Welt hat eine erfreuliche Nachricht – allerdings nur für Sie, meine Damen und Herren: "Riester-Rente: Gutes Geschäft für Anbieter" (Die Welt vom 24.11.2011).

Strahlendes Jubiläumsfeuerwerk oder ausgehende Lichter? Es gibt allerhand Diskussionsbedarf. Ich freue mich, dass ich mit Ihnen diskutieren kann, meine Damen und Herren.

 

Anleger


Es ist mir als Verbraucherschutzministerin eine Herzensangelegenheit. Denn es geht hier ums Eingemachte. Es geht um das Ersparte fürs Alter. Es geht um die Zukunft von Millionen Anlegern, die heute schon für morgen sorgen.

Sie, meine Damen und Herren, wissen wie ich: Anleger brauchen Orientierung. Und Anleger brauchen Sicherheit, ganz besonders in einem bestimmten Punkt: Die staatlich geförderte private Altersvorsorge ist nicht dazu da, dass die Finanzbranche den großen Reibach macht. Sie ist dazu da, dass Anleger angesichts sinkender Rentenbezüge so privat vorsorgen, dass es sich später auszahlt – und dabei steht ihnen der Staat zur Seite!

 

Staatliche Förderung


Und da bin ich mir mit Ihnen, lieber Herr Billen, vollkommen einig: Wo der Staat fördert, darf es keinen Zweifel an der Qualität geben! Deshalb sind mein Kollege Wolfgang Schäuble und ich auch dran an dem Thema. Wir arbeiten sehr konkret an Verbesserungen zu Gunsten der Verbraucher!

Der Schlüssel für den Erfolg der privaten Altersvorsorge ist ganz sicher das Vertrauen. Um es zu festigen, mache ich mich für einen Anlegerschutz stark, der auf Transparenz und Qualität in der Beratung setzt. Haben wir hier Nachholbedarf? Ich meine ja.

 

Vertrauen ist erschüttert


Denn die Anleger sind verunsichert. Sie erleben Zeiten, in denen lange sicher Geglaubtes plötzlich nicht mehr sicher ist.

 

Gesetzlichen Rentenversicherung


Denken wir an die Leistungskraft der Gesetzlichen Rentenversicherung. Der demographische Wandel zeigt bereits Auswirkungen. Die Geburtenzahl sinkt. Die Lebenserwatung steigt. "Kinder kriegen die Leute immer" hat Konrad Adenauer gesagt. Das galt in den fünfziger, sechziger Jahren. Heute, rund ein halbes Jahrhundert später, gilt das nicht mehr. Ein Umlagesystem wie in der Gesetzlichen Rentenversicherung steht deshalb vor enormen Belastungen. Die Zahl der Beitragszahler geht zurück, während die Zahl der Rentenempfänger steigt. Die gesetzliche Rentenversicherung musste daher an diese Entwicklung angepasst werden.

Und das hat die Politik auch getan. Die Rente mit 67 ist ein entscheidender Schritt, die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest zu machen. Und der Dreiklang aus
  • gesetzlicher Rentenversicherung,
  • betrieblicher Altersvorsorge und
  • staatlich geförderte, privater Altersvorsorge
ist ein Konzept, das auf Sicherheit zielt.

Doch Jahre lang hat die Politik – so viel Selbstkritik muss sein – den Reformbedarf ausgeblendet und die Menschen in Sicherheit gewogen hat. Ja, das hat Vertrauen erschüttert.

 

Globale Finanz- und Wirtschaftskrise


Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat bei Anlegern tiefe Spuren hinterlassen. In Amerika war Lehman der Ausgangspunkt. Aber auch bei uns sind Anlegern Modelle empfohlen worden, die offensichtlich noch nicht mal der Anlageberater verstanden hat: die berühmten Zertifikate stehen da nur symbolisch für Produkte, die Sicherheit versprochen haben. Aber Sicherheit gehalten haben sie leider nicht. Viele Anleger haben sich bis dahin quasi blind auf ihre Finanzberater verlassen.

Dann kam der Schock. Er hat zu einer tiefen Vertrauenskrise bei den Anlegern geführt. Und sie ist noch lange nicht überwunden. "Berater führen keine Beratungsgespräche. Sie führen Verkaufsgespräche." Das ist bei vielen haften geblieben. So üben sich viele in Zurückhaltung. Nicht beim Konsum. Aber bei der Geldanlage: Tagesgeld, Festgeld, Girokonto – darauf verlässt man sich gerne. Aber darüber hinaus gilt: Das Vertrauen ist erschüttert.

 

Banken und Staaten


Banken haben gewackelt. Staaten haben gewackelt – und tun es immer noch. Klar ist, dass Staaten in Europa Jahrzehnte lang über ihre Verhältnisse gelebt haben. Sie haben ihre Staatsfinanzen vernachlässigt und sind nicht wettbewerbsfähig.

Dass dies eine fatale Kombination ist, ist nun auch dem letzten noch deutlich vor Augen geführt worden. Der Euro ist davon betroffen. Die Sorge um unsere Währung verunsichert die Menschen. Wenn Banken sich wie in den USA oder Japan zu 0 Prozent Zinsen Geld von den Notenbanken leihen können, beunruhigt das Anleger. Auch die EZB verleiht enorme Summen an europäische Banken. Wie steht es dann um den Wert unserer Währungen?

Was heute unsere Währung wert ist, wissen wir und schätzen wir sehr. Aber was sie in dreißig Jahren wert ist, das stellen viele in Frage. Diese Zukunftsangst, die gibt es. Und wer greift dann zu einer privaten Altersvorsorge? Auch hier gilt: Das Vertrauen ist erschüttert.

Damit, meine Damen und Herren, habe ich Herausforderungen benannt. Es sind Herausforderungen für die Bürger, für die Politik und auch für die Wirtschaft. Es ist Ihre Branche, die unmittelbar davon betroffen ist. Mein Ansatz ist, Vertrauen zu festigen. Wir wollen Vertrauen festigen auch in die private Altersvorsorge.

 

Sechs Punkte zur Sache


Sechs Punkte will ich nun anschließen:

 

Erstens: Die Riester-Rente ist das richtige Instrument.


Die Kombination von gesetzlicher Rentenversicherung und staatlich geförderter privater Altersvorsorge ist sinnvoll. Denn sie sorgt für Generationengerechtigkeit. Sie schützt die Ansprüche der Älteren und gewährleistet zumutbare und stabile Beiträge für die Jüngeren. Das heißt: Wir wahren die Solidarität über den Aufbau einer kapitalgedeckten, zusätzlichen Altersvorsorge.

 

Zweitens: Die Riester-Rente eignet sich auch bei geringem Einkommen.


Wer ein geringes Einkommen hat, muss jährlich nur 60 Euro in einen Riester-Vertrag einzahlen. Aber er bekommt die volle Zulage von bis zu 154 Euro. Die Rendite des selbst eingesetzten Geldes ist hier besonders gut. Und alle profitieren von den Fördermöglichkeiten:
  • Arbeitnehmer,
  • Ehepartner von Arbeitnehmern,
  • Erziehende während der Elternzeit und auch
  • Empfänger von Arbeitslosengeld I und II.
Ein Problem gibt es allerdings: Ist eine Person dann im Rentenalter auf die Sozialleistung der Grundsicherung angewiesen, wird die private Altersvorsorge derzeit von der Grundsicherung abgezogen.

Die Bundesregierung hat dieses Problem erkannt und wir arbeiten an einer Lösung. Denn für uns ist klar. Wer kontinuierlich private Altersvorsorge betrieben hat, soll im Alter mehr haben als nur die reine Grundsicherung,. Vorsorge muss sich lohnen!

 

Drittens: Wir brauchen eine bessere Beratung bei der Riesterförderung.


Die Zahl der abgeschlossenen Riester-Verträge ist schon recht beeindruckend. Sie könnte noch höher sein, aber immerhin. Alarmierend allerdings ist der Umgang mit den bestehenden Riester-Verträgen. Das hat der "Vorsorge-Atlas Deutschland 2011" deutlich gemacht.

Staatliche Zulagen für Riester-Verträge wurden in einer Größenordnung von 1,3 Milliarden Euro im Jahr nicht abgerufen. Es ist eine Zahl, die sich auf das Jahr 2008 bezieht. Ansprüche auf 850 Millionen Euro verfallen, weil Zulagen nicht beantragt werden. Und Ansprüche auf 470 Millionen Euro verfallen, weil die Förderberechtigten unzureichende Beträge einzahlen. Eine häufige Ursache ist, dass Förderberechtigte etwa während ihrer Elternzeit ihre Zahlungen einstellen und nicht den Mindestbeitrag von 60 Euro im Jahr leisten. Es soll auch Fälle geben, in denen Vermittler oder Anbieter von Riester-Verträgen die Förderanträge oftmals nicht oder nur verspätet an die Zulagenstelle weitergeleitet haben.

Deshalb, meine Damen und Herren, richte ich einen klaren Appell an Sie und Ihre Branche. Vermittler und Anbieter müssen besser aufklären über die erforderlichen Eigenbeträge! Sie müssen dem Sparer zur Seite stehen beim Ausfüllen der Förderanträge! Und sie müssen diese Förderanträge rechtzeitig an die Zulagenstelle weiterleiten!

Das ist ein Service, den Anleger erwarten können. Die Anleger zahlen recht ordentlich für diesen Service und sie können dafür Gegenleistungen verlangen!

 

Viertens: Wir brauchen mehr Transparenz in den Riester-Verträgen.


Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat im vergangenen Sommer ein Gutachten zur Transparenz von privaten Riester- und Basisrentenprodukten vorgelegt. Und es hat bestätigt, was viele Verbraucher denken. Die Angebotsvielfalt ist schwer zu überschauen und vielleicht noch schwerer vergleichbar. Denn der Angebotshorizont geht über mehrere Jahrzehnte. Die Anlagestruktur variiert im Zeitverlauf. Und die Kostenmodelle sind unterschiedlich ausgestaltet.

Es bleibt also festzuhalten: Dem Verbraucher droht eine Informationsüberflutung.

Deshalb setzt die Bundesregierung auf das Produktinformationsblatt für zertifizierte Altersvorsorge- und Basisrentenverträge. Es soll in zweifacher Ausfertigung zum Einsatz kommen: Zunächst soll der Anbieter für jedes Vertragsmuster auch ein Muster-Produktinformationsblatt auf Grundlage eines Musterkunden im Internet veröffentlichen. Das das erhöht die Transparenz bereits im Vorfeld. Und dann soll der Anbieter vor Vertragsabschluss dem Verbraucher ein individuelles Produktinformationsblatt für seinen speziellen Fall zur Verfügung stellen.

Bei Versicherungsprodukten wie also der klassischen und fondsgebundenen Rentenversicherung soll ein Informationsblatt die bisher vorgeschriebenen Informationen ersetzen. Auch das ist der besseren Übersicht dienlich!

Meine Damen und Herren,
 
wir werden ein einheitliches Produktinformationsblatt für alle Produktgruppen der staatlich geförderten Altersvorsorge bekommen. Es soll nicht länger sein als zwei Seiten. Und es soll alle relevanten Informationen enthalten, vor allem: Leistungen, Garantien, Kosten und Risiken. Wir haben klare Vorstellungen, was die optische Darstellung und die Reihung der Elemente angeht.
Das werden wir auch im Detail gesetzlich vorgeben. Auch Modellrechungen könnten dazugehören. Erste Vorschläge gibt es bereits von fachkundiger Seite.

Die Kosten sind natürlich ebenfalls ein wichtiger Faktor. Der Entwurf des Finanzministers sieht vor, die Effektivkosten im Produktinformationsblatt aufzunehmen. Das heißt: Bei der Berechnung der Effektivkosten sollen alle für den Vertrag anfallenden Kosten berücksichtig werden. Dazu zählen:
  • Alle Abschlusskosten,
  • Ausgabeaufschläge und
  • Laufende Verwaltungs- und Vertriebskosten auf Ebene des Anbieters und auf Ebene der Fonds, so weit es sich um fondsgebundene Produkte handelt.
Ob die Effektivkosten in Prozent oder in Euro und Cent oder in beidem angegeben werden müssen, prüfen wir zurzeit noch. Fest steht aber: Wir werden hier mehr Transparenz schaffen!

 

Fünftens: Wir brauchen eine regelmäßige Information der Verbraucher.


Es kann natürlich auch nicht angehen, dass mit dem Produktinformationsblatt dann ein für alle mal alle Informationspflichten erfüllt sind.
Bereits jetzt sind Anbieter von Riester-Verträgen dazu verpflichtet, den Sparer jährlich zu informieren über
  • die Verwendung der eingezahlten Beiträge,
  • die Höhe des gebildeten Kapitals,
  • die bisher angefallenen Kosten,
  • die erwirtschafteten Erträge und über
  • das garantierte Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase.
Künftig soll das nicht nur für Riester-Verträge, sondern auch für die Rürup-Verträge gelten, die sich an Selbständige richten. Außerdem sieht das BMF in seinem Diskussionsentwurf vor, eine Information im Vorfeld der Auszahlungsphase vorzuschreiben, die über die dann anfallenden Kosten aufklärt.

 

Sechstens: Wir müssen flexibler werden und Wechsel ermöglichen.


Lebenssituationen verändern sich. Manchmal muss man dann auch seine Altersvorsorge anpassen. Wechsel von einem Riester-Vertrag zum anderen Riester-Vertrag sind heute schon möglich. Der Sparer kann dann seine staatlichen Zulagen behalten. Allerdings gibt es Anbieter, die hohe Wechselkosten verlangen und so einen Wechsel de facto unmöglich machen. Darauf sollten wir reagieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir als Bundesregierung diese Wechselkosten auf 150 Euro deckeln. Wir sollten die Möglichkeit des Vertragswechsels nicht von vornherein einschränken.

Ich weiß, dass sich bei Abschluss eines Vertrages die Kosten in der Auszahlungsphase meist nicht auf Euro und Cent vorhersagen lassen. Aber wenn Anleger dann kurz vorher sehen, dass diese Kosten besonders hoch sein werden, sollten sie auch dann noch wechseln können. Dafür brauchen wir die Garantie auf Beitragserhalt auch bei einem Wechsel zwischen der Anspar- und Auszahlungsphase.

Ich meine: Der Verbraucher hat das Recht auf Selbstbestimmung bei größtmöglicher Transparenz. Und dafür wollen wir sorgen!

 

Ausblick


Meine Damen und Herren,
 
das Programm, das ich hier beschrieben habe, kennt nur Gewinner. Die Verbraucher gewinnen Transparenz, Sicherheit und Vertrauen. Und die Branche gewinnt Kunden, die sich auf der Produkte verlassen können und gerne mit Ihnen Geschäfte machen.

Für die Verbraucher ist Transparenz ein wichtiger Schlüssel. Denn über Transparenz setzt ein Wettbewerb der Anbieter ein, der Kosten senkt. Und das muss unser Ziel aus Verbrauchersicht sein.

Ich war vor einigen Tagen bei einer Veranstaltung der Sparkassen-Vorstände. Auch da haben wir über meine "Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen" gesprochen. Sicherlich ist man nicht immer einer Meinung. Aber eines kam auch dort sehr klar zur Sprache: Bankberater oder Versicherungskaufleute haben natürlich ein geschäftliches Interesse und sie wollen Geld verdienen. Das spricht ihnen auch niemand ab – auch ich nicht. Und nach einem Geschäftsabschluss mit einem Kunden wollen sie gerne mit ihm weitere Geschäfte machen.

Ich meine: Kundenzufriedenheit und Kundenbindungsind für die Finanzbranche gerade im Internetzeitalter mit seiner Angebotsvielfalt wichtiger denn je. Kundenzufriedenheit lohnt sich. Zufriedene Kunden kündigen seltener Verträge. Und nur wer zufrieden ist als Kunde lässt einem Vertragsabschluss in zwei, drei Jahren den nächsten folgen.

Das geht aber nur, wenn der Verbraucher, wenn der Anleger, ja, wenn Ihr Kunde mit Ihnen, meine Damen und Herren, gute Erfahrungen gemacht hat. Denn dann ist empfindliches Vertrauen gefestigt. Und Vertrauen ist die Grundlage für Ihren Geschäftserfolg. Ich spreche in der Bundesregierung für die Verbraucher. Aber ich habe auch für Ihre Vorschläge offene Ohren. Ich freue mich, wenn wir gemeinsam diskutieren und die Interessen von Verbrauchern und Wirtschaft zusammenbringen.

Geben wir nicht denen Recht, die sagen: Das ist unmöglich!

Ich bin der Meinung: Interessen von Verbrauchern und Wirtschaft zusammenzubringen - das ist möglich. Es ist ein Erfolgsrezept: über Transparenz und Qualität. Wenn wir Transparenz und Qualität auch in der Beratung erfolgreich verbessern, dann wird es für die staatlich geförderte private Altersvorsorge noch das eine oder andere Jubiläum geben. Das ist meine feste Überzeugung.

Vielen Dank.

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