Mittwoch, 25. April 2012

Allianz - Piraterie: "Das Risiko bleibt"


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Dr. Sven Gerhard

Berichte über Piratenangriffe im Indischen Ozean reißen nicht ab. Auch melden sich immer mehr Menschen zu Wort, die eine endgültige Lösung für dieses Problem verlangen. Unter anderem wird von mehr militärischer Präsenz geredet. Das allein reicht nicht, sagt Dr. Sven Gerhard, verantwortlich für Schiffsversicherungen weltweit bei Allianz Global Corporate & Specialty. In einem Interview spricht er über die neuesten Entwicklungen und Debatten rund um Piraterie.

Herr Dr. Gerhard, wie hat sich die Situation bei Piratenangriffen 2012 entwickelt?

Dr. Sven Gerhard: Weltweit gesehen ist sie leider praktisch unverändert zum Vorjahr. Wir erleben schon seit einigen Jahren eine gleich bleibend hohe Zahl an Angriffen und Geiselnahmen – vor allem vor der Küste Somalias. Zurzeit halten somalische Piraten dort rund 200 Besatzungsmitglieder als Geiseln. Rund die Hälfte davon wurde erst in diesem Jahr gefangen genommen. Bei unserem Kundenstamm ist der Trend allerdings rückläufig, was uns natürlich sehr freut. Aber das Risiko bleibt.

Die Stimmen werden lauter, die bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord von Schiffen in gefährdeten Gebieten verlangen, um Piraten zu bekämpfen. Was halten Sie davon?

Gerhard: Als erstes sollte man verstehen, woher diese Diskussion eigentlich kommt. Schiffseigner wollen ihre Verteidigungsmöglichkeiten gegen Piratenangriffe erweitern. Neben rein passiven Sicherungsmaßnahmen rückt dabei die aktive Gegenwehr bei einer Piratenattacke zunehmend in den Vordergrund. Die Regierungen in vielen Ländern verabschieden neue Gesetze im Kampf gegen die Piraterie, die den Handlungsspielraum von Reedern und Schiffscrews klarer definieren sollen. Das kann eben auch das Mitführen von bewaffnetem Sicherheitspersonal in internationalen Gewässern mit einschließen.

Wie stehen Sie zur Frage von bewaffneten Sicherheitspersonal an Bord?

Gerhard: Wir wollen natürlich auch Klarheit im Gesetz und einen verbindlichen Rahmen, was erlaubt ist und was nicht. Es gibt hier noch viele Unklarheiten. Aber wir sind keine grundsätzlichen Befürworter von bewaffnetem Sicherheitspersonal an Bord. Sicherheitspersonal kann wirksam sein, aber nur wenn es gut ausgebildet ist und auch die Schiffscrew in das Sicherheitskonzept mit einbezogen wird. Die Crew muss wissen, wie sie mit den Sicherheitsleuten umgehen muss und was im Ernstfall passiert. Ansonsten droht die Gefahr, dass eine Situation schlagartig eskaliert. Der Einsatz von Waffen bringt einfach ein erhöhtes Risiko. 

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Die Allianz ist kein grundsätzlicher Befürworter von bewaffnetem Sicherheitspersonal an Bord. Sicherheitspersonal kann wirksam sein, aber nur wenn es gut ausgebildet ist und auch die Schiffscrew in das Sicherheitskonzept mit einbezogen wird. 

Was will die Allianz in diesem Zusammenhang sehen?

Gerhard: Was uns als Versicherer interessiert, ist das Gesamtkonzept der Reedereien. Ist die Crew gut ausgebildet? Ist sie eingespielt und auch für solche Fälle vorbereitet? Nach welchen Kriterien werden bewaffnete Sicherheitskräfte ausgewählt, wie werden sie in das Sicherheitskonzept an Bord eingebunden? Wer überprüft das? Wie ist das Zusammenspiel etwa mit der Marine vor Ort? Welche anderen Sicherheitsvorkehrungen gibt es? Einzelne Elemente genügen nicht, es muss ein schlüssiges Gesamtkonzept geben. Unsere Kunden  sehen das ähnlich.

Die deutsche Regierung hat neulich militärische Lufteinsätze bis zu 2 km vor dem Festland Somalias erlaubt, um dort Piraten zu bekämpfen...

Gerhard: Das ist eine von vielen militärischen Maßnahmen, die von einigen Ländern ergriffen wird, um den Handlungsraum von Staaten auch zu klären und zu erweitern. Das ist in einzelnen Fällen sicher notwendig, aber damit ist das Grundproblem nicht gelöst: Bittere Armut in einem kaum regierbaren Land. Wir plädieren seit Jahren für ein gemeinsames internationales Vorgehen von Politik und Wirtschaft, um das Übel an der Wurzel zu packen.

Weil das gefährdete Gebiet mittlerweile fast den gesamten Indischen Ozean umfasst und die Militärs das unmöglich abdecken können?

Gerhard: Nicht nur das. Es gibt mittlerweile eine andere Entwicklung: Auch in Westafrika wird die Lage seit 2009 immer schwieriger – vor allem vor der Küste von Benin und Nigeria. Hier sehen wir ebenfalls vermehrt Piratenaktivitäten. Man kann nicht alle Gewässer gleichzeitig bewachen.

Nigeria und Benin? Wollen die Piraten dort auch Lösegeld, wie die somalischen Piraten?

Gerhard: In Westafrika geht es den Piraten – wie man das „traditionell“ kennt – um Beute. Oder es wird Lösegeld für die Beute, wie zum Beispiel das Öl in einem Tanker, verlangt. Aber auch im Falle der somalischen Piraten ist die Fracht betroffen. Die Ware gilt nicht als verschollen, also liegt meist kein Versicherungsfall vor, es sei denn Güter verderben, während das Schiff von Piraten festgehalten wird. Sie wird trotzdem nicht oder nur mit Verzögerung geliefert, und so entsteht ein wirtschaftlicher Schaden, insbesondere bei termingebundenen Lieferungen wie etwa im Projektgeschäft.

Ist die Lage in Westafrika anders als im Indischen Ozean?

Gerhard: In diesen Ländern gibt es ähnliche Probleme wie in Somalia: Armut gekoppelt mit politisch instabilen Verhältnissen. Immerhin herrschen in den beiden Ländern einigermaßen stabile staatliche Strukturen. Das ist umso mehr ein Grund, dort politische und wirtschaftliche anstatt militärische Wege zu gehen. Insofern plädiere ich auch hier für Lösungen, die die eigentlichen Ursachen beheben. Piraterie ist nur ein Symptom.

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen, der Ihnen oben rechts zur Verfügung gestellt wird.

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